B. Tremmel: Der Kastellvicus des 1. Jahrhunderts n. Chr.

Cover
Titel
Der Kastellvicus des 1. Jahrhunderts n. Chr. von Augusta Vindelicum/Augsburg.


Autor(en)
Tremmel, Bettina
Reihe
Augsburger Beiträge zur Archäologie 6
Erschienen
Augsburg 2012: Wißner-Verlag
Anzahl Seiten
229 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Andrew Lawrence

In der 6. Folge der Monographiereihe «Augsburger Beiträge zur Archäologie» werden erstmals die Befunde und Funde aus dem Kastellvicus im heutigen Augsburg zusammenhängend vorgelegt und ausgewertet. Drei grössere Ausgrabungen stehen dabei im Zentrum (Kap. 2): Jene am Fronhof 8 (mit den ältesten nachgewiesenen Holzbauten im Areal des Kastellvicus), eine zweite an der Jesuitengasse 10 und schliesslich jene an der Jesuitengasse 14. Alle drei Areale befinden sich an der westlichen Ausfallstrasse des Kastells, wo sich die damalige Zivilsiedlung erstreckte.

Die Grabungen fanden in den 1980er Jahren statt und wurden weniger stratigraphisch als vielmehr nach Abstichen ausgeführt. Zwar werden die Originalpläne in der vorliegenden Publikation nur mit wenigen Beispielen abgebildet, doch wird eine beachtliche Leistung der Autorin deutlich, welche alle Plana geordnet, mit den Profilen korreliert und schliesslich daraus Phasenpläne entworfen hat. In der Auswertung fehlt indessen ein eigentlicher Befundkatalog, aber mit Hilfe der abgebildeten Pläne, Profile und Fotos ist es möglich, die im Text erwähnten Befundeinheiten zu lokalisieren und vor allem zu verstehen. Zur Besprechung der Phasen der oben genannten Grabungen kommt eine ausführliche Beschreibung des Fundmaterials hinzu.

Die drei grösseren Studien sind ergänzt durch eine Auflistung weiterer archäologischer Untersuchungen aus allen Kastellvicusbereichen. Verdankenswerterweise hat die Autorin auf einer Karte Augsburgs sämtliche erwähnten archäologischen Interventionen eingetragen, nummeriert und in einem Katalog zusammengestellt, so dass die Lokalisierung der Ausgrabungen selbst für Ortsunkundige mühelos möglich ist (Abb. 47). Aus dem Katalog resultiert ein schematischer Grundplan, der einen guten Einblick in die römische Topographie des Kastellvicus gibt (Abb. 46).

Auf der Basis dieser Grundlagenarbeit gelingt es der Autorin, nicht nur die chronologische Entwicklung des Vicusareals zu umreissen, sondern auch einen aktualisierten topographischen Plan des Kastells und der zivilen Überbauung vorzulegen.

Eine der wichtigsten Fragestellungen der Arbeit gilt der Besiedlungsgeschichte des römischen Augsburgs (Kap. 3). Die bislang frühesten Spuren sind der Militäranlage Augsburg-Oberhausen zuzuordnen, deren Beginn kurz vor die Zeitenwende datiert wird. Die Auflassung ist in Zusammenhang mit einer Überschwemmung der Wertach zu sehen. Die Gründung des neuen Kastells erfolgte in frühtiberischer Zeit auf der 2 km weiter südlich gelegenen Hochterasse. Das neue Kastell bestand bis in frühflavische Zeit und fiel wohl in den Wirren des Vierkaiserjahres einem Brand zum Opfer.

Standen in der Diskussion um die Chronologie bisher das zeitliche Verhältnis zwischen den Kastellen Augsburg-Oberhausen und Augsburg-Hochterrasse sowie die Frage einer Kontinuität bzw. eines Hiatus im Zentrum, so lenkt die Autorin das Augenmerk neu auf die Chronologie des Kastells auf der Hochterrasse und des dazugehörigen Kastellvicus. Als wichtiges Ergebnis ist festzuhalten, dass die Vicusüberbauung im 2. Jahrzehnt n. Chr. einsetzte — parallel zur Gründung des Kastells auf der Hochterasse. Dieses Resultat basiert grösstenteils auf einer antiquarischen Analyse der italischen und frühsüdgallischen Sigillaten aus dem Vicusareal.

In den Kapiteln 3.4–3.6 folgen Abhandlungen zur Bauweise der Gebäude, zu Handel und Handwerk sowie zur Wasserversorgung im Kastellvicus. Dadurch wird das Bild der untersuchten Siedlung insgesamt lebendiger.

Mit dem Vergleich zwischen den im Kastellvicus angetroffenen Befunden und anderen Siedlungen in Rätien und den germanischen Provinzen setzt die Autorin die herausgearbeiteten Ergebnisse in einen überregionalen Kontext (Kap. 3.7). Ihre Erkenntnisse aus der differenzierten Betrachtung der Beispiele sprechen gegen eine uniforme Entwicklung der Bauweise in kleinstädtischen Siedlungen. Auch der Zusammenhang zwischen Konstruktionsweise und römischem Einfluss wird grundsätzlich und zu Recht hinterfragt.

Eine übersichtliche - leider nur auf Deutsch vorliegende - Zusammenfassung der gesamten Arbeit schliesst den Textteil ab.

Das Fundmaterial aus den Grabungen ist in einem Katalog exemplarisch nach Befundeinheiten vorgelegt; leider schwankt die Qualität der Fundzeichnungen auf den Tafeln.

Die von N. Pöllath vorgelegte Auswertung der Tierknochenfunde befindet sich nach den Bildtafeln und der Bibliografie (193–230). Die Untersuchung behandelt erstmals einen grossen Komplex aus dem römischen Augsburg. Die Besprechung der Fauna und die daraus resultierenden Aussagen zur Tierhaltung und Ernährung geben Einblicke die Sozialstruktur der Bewohnerinnen und Bewohner im Augsburger Kastellvicus. Ferner zeigt die Analyse der bearbeiteten Knochen und Geweihfragmente (Werkstattabfälle) deutlich, dass um die Mitte des 1. Jh. n.Chr. Geweih- und Hornschnitzerei betrieben wurde (Jesuitengasse 14).

B. Tremmels Arbeit bietet nicht nur neue, wichtige Grundlagen für das römische Augsburg. Anhand einer konkreten Auswertung werden neue Fakten für die Diskussion über das Verhältnis zwischen Kastell und Kastellvicus vorgelegt. Darüber hinaus liefert sie spannende und weiterführende Impulse für die Erforschung von Siedlungsstrukturen und deren Entwicklungen im Rätien und im Alpenvorland.

Zitierweise:
Andrew Lawrence: Rezension zu: Bettina Tremmel, Der Kastellvicus des 1. Jahrhunderts n. Chr. von Augusta Vindelicum/Augsburg. Mit einem Beitrag von Nadia Pöllath. Augsburger Beiträge zur Archäologie 6. Augsburg 2012. Zuerst erschienen in: Jahrbuch Archäologie Schweiz, Nr. 96, 2013, S. 263.

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Zuerst veröffentlicht in

Jahrbuch Archäologie Schweiz, Nr. 96, 2013, S. 263.

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